"Wir erleben eine Zeitenwende." Das sagte der deutsche Kanzler Olaf Scholz am Sonntag im Bundestag in seiner Regierungserklärung. Gemeint war natürlich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Doch dann konnten die Deutschen auch bei Scholz eine Zeiten- und Kehrtwende miterleben – eine, wie es sie in Deutschland noch nicht gegeben hat. Plötzlich geht vieles, was vorher tabu war.

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Wochenlang hatte Kanzler Olaf Scholz Waffenlieferungen an die Ukraine ausgeschlossen. Nun sind auch diese möglich.
Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

100 Milliarden Euro Sondervermögen wird die Bundeswehr für Investitionen und Rüstungsvorhaben erhalten. Zudem kündigte Scholz an, künftig mehr als zwei Prozent des BIP in die Verteidigung zu investieren. Dieses Nato-Ziel hat Deutschland noch nie erreicht – zum Ärger der USA. Im Bundestag betonte Scholz, man handle nicht alleine, um nun die Zusagen an die Verbündeten zu erfüllen: "Wir tun dies auch für uns, für unsere eigene Sicherheit."

Doch die immensen Summen, die die Ampel nun aufbringen will, sind noch längst nicht alles. Wochenlang hatte die deutsche Regierung Waffenlieferungen an die Ukraine ausgeschlossen. Nun sind auch diese möglich.

Waffen für die Ukraine

Schon am Samstag hatte Scholz bekanntgegeben, dass die Ukraine zur Selbstverteidigung unter anderem 1.000 Panzerabwehrwaffen und 500 Flugabwehrraketen des Typs Stinger erhalten werde. Stinger-Raketen haben auch die afghanischen Rebellen der Mudjahidin in den späten Achtzigerjahren von den USA erhalten, um sich gegen die sowjetischen Besatzer zu wehren.

Es waren aber nicht nur die Botschaften, die aufhorchen ließen. Der oft zurückhaltende Scholz zeigte sich äußerst entschlossen. "Was für den Frieden in Europa getan werden muss, wird getan", sagte er und wirkte ganz anders als der Kanzler Scholz der vergangenen Wochen.

Am 8. Dezember ist er ins Amt gekommen, und es war kein besonders guter Start der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP. Innenpolitisch dominierte der Streit um die Impfpflicht, außenpolitisch fiel Scholz durch seine Zurückhaltung gegenüber Russland auf.

Kanzler entschlossen

Noch vor Weihnachten hatte er die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2, die russisches Gas nach Europa bringen soll, als "privatwirtschaftliches Vorhaben" bezeichnet. Und lange Zeit wollte Scholz sich nicht festlegen, ob Sanktionen gegen Russland auch das Aus für Nord Stream 2 bedeuten würden.

Doch die Kritik wuchs, im Ausland, aber auch in den deutschen Medien. Der Tenor: Bloß verbale Solidaritätsäußerungen mit der Ukraine seien zu wenig. Nun, spät, aber doch, legte Scholz mit seiner Ampel-Regierung die Kehrtwende hin.

"Vielleicht ist es so, dass Deutschland am heutigen Tag eine Form besonderer und alleinstellender Zurückhaltung in der Außen- und Sicherheitspolitik hinter sich lässt", sagte Außenministerin Annalena Baerbock im Bundestag. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) war so verblüfft, dass er Scholz für seine Erklärung sogar dankte. (Birgit Baumann aus Berlin, 27.2.2022)